SELV-DALI: Licht ohne Netz

Eine Fallstudie aus unserer Flaggschiff-Installation

Das Horrorfilm-Paradoxon

Es ist das Jahr 2247. Eine Raumstation am Rande des bekannten Universums. Der Protagonist schleicht durch einen Korridor. Die Lichter flackern bedrohlich. Etwas Böses naht...

Und ich sitze auf dem Sofa und denke: Wirklich? Im 23. Jahrhundert haben sie immer noch keine vernünftige Elektroinstallation?

Seit wir unsere Flaggschiff-Installation fertiggestellt haben, kann ich Horrorfilme nicht mehr ernst nehmen. Denn bei uns passiert etwas Seltsames, wenn das Stromnetz ausfällt: Nichts.

Die Lichter flackern nicht. Sie gehen nicht aus. Sie brennen einfach weiter, als wäre nichts geschehen. Willkommen in der Welt von SELV-DALI.

Warum DALI nicht SELV ist (obwohl es so aussieht)

DALI (Digital Addressable Lighting Interface) ist der Industriestandard für professionelle Lichtsteuerung. Die Steuerleitung arbeitet mit einer Spannung von 9,5 V bis 22,5 V DC - typischerweise 16 V im Ruhezustand. Das klingt nach Kleinspannung, nach Sicherheit, nach SELV.

Aber DALI ist kein SELV.

Der Grund liegt nicht in der Steuerleitung selbst, sondern in den angeschlossenen Geräten. Ein typischer DALI-LED-Treiber sieht so aus:

230V AC ──── LED-Treiber ──── LED
                 │
            DALI-Bus (16V)

Das Problem: Der LED-Treiber enthält intern 230 V Netzspannung. Ein einziger Isolationsfehler - ein durchgeschlagener Kondensator, eine beschädigte Wicklung - und plötzlich liegen 230 V auf dem DALI-Bus.

Deshalb gilt DALI offiziell als FELV (Functional Extra Low Voltage), aber nicht als SELV (Safety Extra Low Voltage). Der Unterschied ist nicht akademisch - er hat massive Auswirkungen auf Installation und Sicherheit.

Der Lichtschalter neben dem Waschbecken

Stellen Sie sich vor, Sie planen ein Badezimmer. Wo dürfen Schalter hin?

Bei 230 V AC gelten strenge Zonen:

• Zone 0 (in der Wanne/Dusche): Keine Schalter
• Zone 1 (über Wanne/Dusche): Keine Schalter
• Zone 2 (60 cm um Zone 1): Nur mit Spritzwasserschutz IP X4
• Zone 3 (weitere 240 cm): Normale Installation möglich

Das bedeutet: Der Lichtschalter muss weit weg vom Wasser. Unpraktisch, aber sicher.

Mit SELV ändert sich alles.

Schutzkleinspannung unter 60 V DC gilt als berührungssicher - auch mit nassen Händen. Die Zonenrestriktionen fallen weg. Ein Schalter direkt neben dem Waschbecken? Kein Problem. Im Spritzwasserbereich der Dusche? Technisch möglich.

Aber um SELV zu erreichen, reicht es nicht, einen 16-V-Bus zu haben. Die gesamte Kette muss galvanisch vom Netz getrennt sein.

Die SELV-DALI-Architektur

In unserer Flaggschiff-Installation haben wir das konsequent umgesetzt:

Batteriespeicher (48V nom.)
        │
        ▼
   DC/DC-Wandler
        │
        ▼
    24V DC-Bus ────┬──── LED-Leuchten (24V)
                   │
                   └──── DALI-Netzteil
                              │
                              ▼
                      DALI-Bus (16V)

Kein 230 V AC in der gesamten Beleuchtungskette.

Der Batteriespeicher arbeitet mit nominell 48 V - das entspricht einem typischen LiFePO4-System mit 16 Zellen in Serie. Selbst bei voller Ladung bleibt die Spannung unter 60 V, also im SELV-Bereich.

Ein hochwertiger DC/DC-Wandler erzeugt daraus stabile 24 V für den LED-Bus. Diese 24 V versorgen sowohl die LED-Leuchten direkt als auch ein spezielles DALI-Netzteil, das den 16-V-Steuerbus erzeugt.

Das Ergebnis: Echtes SELV von der Batterie bis zum Photon.

Warum 24 Volt?

Die Wahl von 24 V als Zwischenspannung ist kein Zufall:

Besser als 12 V:

• Halber Strom bei gleicher Leistung
• Dünnere Leitungen, geringere Verluste
• Längere Leitungswege möglich

Verfügbarkeit:

• 24 V ist ein Industriestandard
• Große Auswahl an LED-Leuchten, -Streifen und -Treibern
• Komponenten sind erschwinglich und lieferbar

Unterhalb der Batteriespannung:

• Direkter Betrieb am 48-V-Batteriespeicher ist für LED-Komponenten nicht möglich
• Praktisch keine Leuchten für diesen Spannungsbereich verfügbar

Das Uncanny-Valley-Erlebnis

Der erste echte Test kam ungeplant. Ein Firmware-Update des Wechselrichters erforderte einen Neustart. Ich schaltete die Anlage ab.

Die 230-V-Versorgung des Hauses ging aus. Der Kühlschrank verstummte. Die Kaffeemaschine zeigte keine Uhrzeit mehr.

Aber das Licht? Brannte weiter.

Es ist ein seltsames Gefühl. Man erwartet Dunkelheit, bereitet sich innerlich darauf vor - und dann passiert... nichts. Das Gehirn braucht einen Moment, um zu verarbeiten, dass die Erwartung falsch war.

Wir nennen es das "Uncanny Valley" der Elektroinstallation. Technisch perfekt, aber emotional irritierend, weil es unseren Instinkten widerspricht.

Nach einer Weile gewöhnt man sich daran. Und dann kann man keine Horrorfilme mit dem flacker-Stilmittel mehr ernst nehmen.

Sicherheit durch Einfachheit

SELV-DALI bietet nicht nur Komfort bei Stromausfällen. Es erhöht die fundamentale Sicherheit der Installation:

Kein Stromschlagrisiko:

• Selbst bei beschädigten Kabeln oder defekten Geräten
• Keine gefährlichen Spannungen, die berührt werden könnten
• Sicher auch für Kinder und Haustiere

Vereinfachte Installation:

• Keine Zonenrestriktionen im Nassbereich
• Schalter können dort platziert werden, wo sie praktisch sind
• Weniger Vorschriften, weniger Fehlerquellen

Brandschutz:

• Geringere Ströme bei gleicher Leistung (verglichen mit 12 V)
• Kein Lichtbogenrisiko bei Kurzschluss unter 60 V
• Thermisch unkritischere Installation

Integration mit dem Batteriespeicher

SELV-DALI macht nur Sinn, wenn ein Batteriespeicher vorhanden ist. Aber für Häuser mit Photovoltaik und Speicher ist es eine natürliche Erweiterung.

Der Speicher ist ohnehin da. Die 48 V liegen an. Ein DC/DC-Wandler und ein DALI-Netzteil sind überschaubare Zusatzkosten - insbesondere verglichen mit einer USV-Anlage für die gesamte Beleuchtung.

Das Ergebnis ist ein System, das:

• Bei Sonnenschein vom PV-Überschuss profitiert
• Bei Netzausfall nahtlos weiterfunktioniert
• Keine Umschaltzeit hat (es gibt nichts umzuschalten)
• Die höchste Sicherheitsklasse für Beleuchtung erreicht

Zusammenfassung

SELV-DALI ist mehr als eine technische Spielerei. Es ist die konsequente Umsetzung zweier Prinzipien:

1. Sicherheit durch Niederspannung: Unter 60 V DC gibt es kein Stromschlagrisiko. Punkt.
2. Resilienz durch Unabhängigkeit: Was nicht vom Netz abhängt, kann vom Netz nicht gestört werden.

In unserer Flaggschiff-Installation haben wir bewiesen, dass dies praktisch umsetzbar ist. Die Komponenten existieren. Die Technik funktioniert. Und ja - das Gefühl, wenn bei einem Stromausfall nichts passiert, ist jedes Mal aufs Neue faszinierend.

Vielleicht sollten die Drehbuchautoren von Science-Fiction-Filmen mal bei uns vorbeischauen. Im Jahr 2247 sollte das Licht wirklich nicht mehr flackern.

Dieser Artikel ist Teil unserer Fallstudien-Serie über die WHIP-Flaggschiff-Installation. Weitere Artikel: [DC-Netzwerk: Das Kontrollparadoxon]

Technische Eckdaten:

• Batteriespeicher: 48 V nominal (LiFePO4)
• Zwischenspannung: 24 V DC
• Steuerung: DALI-2
• Maximale Spannung im System: <60 V (SELV-konform)