DC-Smart Home: Wenn die Muskeln versagen, bleibt das Gehirn wach
Eine Fallstudie aus unserer Flaggschiff-Installation
3 Uhr nachts, der Sturm und das Wasser
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor:
Ein Herbststurm fegt über die Region. Um 3 Uhr nachts fällt das Stromnetz aus. Ihr Wechselrichter - normalerweise zuverlässig - hat ausgerechnet heute einen Defekt und schafft die Umschaltung in den Inselbetrieb nicht. Das Haus ist dunkel und still.
Irgendwo im Keller hat der Sturm einen Wasserrohrbruch verursacht. Wasser läuft.
In einem konventionellen Smart Home passiert jetzt: Nichts. Der Wassermelder ist tot. Die Absperrventilsteuerung ist tot. Der Server ist tot. Sie schlafen weiter, während Ihr Keller volläuft.
In unserer Installation passiert etwas anderes:
Der Wassermelder - batterielos, aber DC-versorgt - erkennt das Wasser. Der WHIP-Hub verarbeitet das Signal. Das Absperrventil - ebenfalls DC-versorgt - schließt. Ihr Smartphone vibriert: "Wasserleckage Keller. Hauptventil geschlossen."
Sie können nicht pumpen (die Pumpe braucht 230 V). Aber der Schaden ist begrenzt. Das Haus hat gehandelt, obwohl es "keinen Strom" hatte.
Das Prinzip: Gehirn und Muskeln
Ein Haus hat zwei Arten von Systemen: Solche, die wissen - und solche, die tun.
Das Smart Home lässt sich in zwei Kategorien teilen:
Das Gehirn - Systeme, die wahrnehmen und verarbeiten:
- Sensoren (Temperatur, Feuchtigkeit, Bewegung, Leckage)
- Verarbeitungseinheiten (Hubs, Server)
- Kommunikation (Netzwerk, Benachrichtigungen)
Die Muskeln - Systeme, die handeln:
- Pumpen (Heizung, Wasser)
- Motoren (Rollläden, Garagentor)
- Hochleistungsaktoren (Wärmepumpe, Klimaanlage)
Im Gegensatz zum biologischen Vorbild - das satte 20% unseres Energieumsatzes beansprucht - ist das Haus-Gehirn bescheiden. Sensoren verbrauchen im Normalbetrieb Milliwatt. Ein Hub vielleicht 5 Watt. Selbst ein Server-Cluster kommt mit 50-100 Watt aus.
Die Muskeln hingegen sind hungrig. Eine Umwälzpumpe zieht mehrere hundert Watt. Eine Wärmepumpe mehrere Kilowatt.
Unsere Konsequenz: Das gesamte Gehirn läuft auf DC, direkt aus dem Batteriespeicher. Die Muskeln laufen auf 230 V AC. Wenn der Wechselrichter ausfällt, verliert das Haus seine Muskeln - aber nicht seinen Verstand.
Die drei Ebenen des DC-Gehirns
In unserer Flaggschiff-Installation haben wir das konsequent umgesetzt:
Batteriespeicher (48V)
│
├── Wechselrichter ── 230V AC ── "Muskeln"
│ │
│ ├── Umwälzpumpen
│ ├── Wärmepumpe
│ └── Motoren, z.B. Jalousien
│
└── DC-Infrastruktur ── "Gehirn"
│
├── Victron Orion 48/24 ── Server-Cluster (~20V)
│ │
│ ├── NUC 1 (Proxmox)
│ ├── NUC 2 (Proxmox)
│ └── NUC 3 (Proxmox)
│ │
│ └── WHIP Server VM
│
├── DC/DC ── WHIP Hubs (lokale Verarbeitung)
│
└── DC/DC ── WHIP Nodes + DC-Aktoren
│
├── Sensoren (Temperatur, Leckage, ...)
└── Stellventile (24V)Drei Ebenen, alle DC-versorgt:
- WHIP Nodes - Die Sinnesorgane. Sensoren für Temperatur, Feuchtigkeit, Wasserleckage, Tür-/Fensterkontakte. Plus kleine DC-Aktoren wie Stellventile.
- WHIP Hubs - Das Kleinhirn. Lokale Verarbeitung, Automatisierungslogik, Kommunikation mit den Nodes. Kann autonom reagieren, auch wenn der Server offline ist.
- Server-Cluster - Das Großhirn. Zentrale Intelligenz, Langzeitspeicherung, komplexe Automatisierungen, Benutzeroberfläche.
Der NUC-Cluster: Dreifach geschützt
Das Herzstück unseres "Gehirns" ist ein 3-Node Proxmox-Cluster. Drei Intel/ASUS NUCs, die im HA-Modus (High Availability) laufen. Fällt ein Node aus, übernehmen die anderen. Klassische Server-Redundanz.
Aber NUCs haben eine Eigenheit: Sie verlangen exakt 19-20 V Eingangsspannung (maximal 22 V). Nicht 12 V wie viele Embedded-Systeme. Nicht 24 V wie Industriestandard. Sondern etwas dazwischen.
Die Lösung: Ein Victron Orion 48/24 DC/DC-Wandler, per Trimmer auf exakt 20 V justiert. Nicht "ungefähr passend", sondern präzise das, was die NUCs erwarten.
Aber der Orion liefert mehr als nur die richtige Spannung. Er bietet galvanische Trennung. Das bedeutet: Die Batteriespannung (die zwischen 42 und 58 V schwankt) hat keinen elektrischen Kontakt zum Server-Cluster. Überspannungen, Transienten, Störungen - sie enden am Orion.
Stromnetz (230V AC)
│
╳ Galvanische Trennung (Wechselrichter)
│
▼
Batteriespeicher (48V, schwankend 42-58V)
│
╳ Galvanische Trennung (Victron Orion)
│
▼
Server-Cluster (20V, stabil, isoliert)Zeus selbst könnte einen Blitz auf das Haus werfen. Er würde am Wechselrichter gestoppt (angenommen, der Blitzschutz würde nicht funktionieren). Käme er irgendwie durch, würde er am Orion gestoppt. Der Server-Cluster lebt in seiner eigenen, isolierten elektrischen Welt.
Warum DC/DC zuverlässiger ist als DC/AC:
Ein Wechselrichter ist ein komplexes Gerät: Netzsynchronisation, Blindleistungsmanagement, aufwendige Regelung, viele Leistungshalbleiter. Eine Schweizer Langzeitstudie zeigte eine Ausfallrate von 34% bei Heimwechselrichtern über 15 Jahre. In großen PV-Anlagen verursachen Wechselrichter 50-60% aller Störungen.
Ein DC/DC-Wandler ist simpler: weniger Bauteile, einfachere Topologie, keine Netzanbindung. Hochwertige DC/DC-Wandler erreichen MTBF-Werte von über einer Million Stunden - rechnerisch über 100 Jahre. Eine Größenordnung mehr als typische Wechselrichter.
Was nicht da ist, kann nicht ausfallen. Das Haus-Gehirn hängt am zuverlässigeren Pfad.
Das Ergebnis: Hardware-Redundanz plus Stromversorgungsresilienz. Ein Node kann ausfallen - das System läuft weiter. Der Wechselrichter kann ausfallen - das System läuft weiter. Beides gleichzeitig? Das System läuft immer noch.
Praktische Szenarien
Szenario 1: Wasserleckage
Der Klassiker: Ein Schlauch platzt, eine Dichtung versagt, Wasser tritt aus.
Ohne DC-Smart Home:
- Leckagesensor erkennt Wasser
- Sendet Signal an Zentrale
- Zentrale steuert Magnetventil an
- Alles gut - solange Strom da ist
Mit DC-Smart Home bei Stromausfall:
- Leckagesensor (DC) erkennt Wasser
- WHIP Hub (DC) verarbeitet Signal
- Absperrventil (DC) schließt
- Benachrichtigung geht raus (DC-Netzwerk)
- Schaden begrenzt, auch ohne 230 V
Die Pumpe zum Abpumpen funktioniert nicht (230 V). Aber das Wichtigste - das Stoppen des Wasserzuflusses - funktioniert.
Szenario 2: Heizungsüberwachung im Winter
Stromausfall bei -15°C. Die Wärmepumpe steht. Die Umwälzpumpen stehen. Das Haus kühlt aus.
Ohne DC-Smart Home:
Sie wissen von nichts. Wenn der Strom wiederkommt, ist es vielleicht zu spät. Rohre gefroren, Wasserschäden.
Mit DC-Smart Home:
- Temperatursensoren (DC) melden: "Wohnzimmer 12°C und fallend"
- Server (DC) berechnet: "Bei aktueller Abkühlrate kritische Temperatur in 4 Stunden"
- Benachrichtigung: "Heizungsausfall. Handeln Sie."
- Zonenventile (DC): Können kritische Bereiche isolieren
Sie können nicht heizen. Aber Sie wissen, was passiert. Sie können reagieren - Nachbarn bitten, einen Heizlüfter anzuschließen, zumindest die kritischsten Räume schützen.
Uncanny Valley, Teil 3
In unseren Artikeln über SELV-DALI und DC-Netzwerk haben wir das seltsame Gefühl beschrieben, wenn bei einem Stromausfall Dinge weiter funktionieren, die nicht funktionieren sollten.
Mit dem DC-Smart Home erreicht dieses Gefühl eine neue Dimension:
Der Wechselrichter ist aus. Das 230-V-Netz ist tot.
- Die Heizung läuft nicht
- Der Kühlschrank ist still
- Die Waschmaschine reagiert nicht
Aber:
- Ihr Smartphone zeigt: "Wohnzimmer 21,3°C, Tendenz fallend"
- Die Kamera im Garten streamt live
- Der Bewegungsmelder meldet: "Katze im Flur"
- Das System loggt weiterhin alle Ereignisse
Das Haus kann nicht mehr handeln im großen Stil. Aber es weiß noch alles. Es sieht noch alles. Es denkt noch.
Es ist, als hätten Sie einem Menschen die Arme und Beine gelähmt - aber sein Gehirn arbeitet völlig klar weiter. Er kann sprechen, sehen, hören, analysieren. Nur nicht zupacken. Ok, das hört sich jetzt vielleicht nicht so gut an, aber Sie wissen was gemeint ist.
Nach einer Weile fühlt sich das richtig an. Ein Haus, das bei Stromausfall komplett blind wird, fühlt sich dann wie ein Designfehler an.
Die Grenzen: Was die Muskeln kosten
Ehrlichkeit gehört dazu: Nicht alles kann DC sein.
Diese Muskeln brauchen 230 V AC:
| System | Typische Leistung | DC-Alternative? |
|---|---|---|
| Wärmepumpe | 2.000-5.000 W | Nein |
| Umwälzpumpen | 50-100 W | Theoretisch ja, praktisch selten |
| Rollladen-Motoren | 100-300 W | Selten verfügbar |
| Waschmaschine | 2.000+ W | Nein |
| Elektroherd | 3.000-10.000 W | Nein |
Die physikalische Realität: Hohe Leistung bei niedriger Spannung bedeutet hohe Ströme. Hohe Ströme bedeuten dicke Kabel, hohe Verluste, teure Komponenten.
Für Sensoren und Steuerungen ist DC perfekt. Für Hochleistungsaktoren bleibt 230 V AC die pragmatische Wahl.
Aber: Die meisten Smart-Home-Szenarien brauchen keine Hochleistung. Sie brauchen Information und kleine Eingriffe:
- Wissen, dass es ein Problem gibt ✓
- Ein Ventil schließen ✓
- Eine Benachrichtigung senden ✓
- Einen Status loggen ✓
All das funktioniert mit wenigen Watt. All das kann DC.
Zusammenfassung
Das traditionelle Smart Home hat einen fundamentalen Designfehler: Es vermischt Gehirn und Muskeln in derselben Stromversorgung. Wenn die Muskeln ausfallen, stirbt auch das Gehirn.
Unsere Lösung trennt die beiden:
- Das Gehirn auf DC - Sensoren, Hubs, Server, Netzwerk - alles direkt am Batteriespeicher
- Die Muskeln auf AC - Pumpen, Motoren, Hochleistungsgeräte - am Wechselrichter
- Intelligente DC-Aktoren - Kleine Eingriffe (Ventile) auch ohne AC möglich
Das Ergebnis: Ein Haus, das auch im schlimmsten Fall - Netzausfall plus Wechselrichterdefekt - noch weiß, was passiert. Das noch kommunizieren kann. Das noch kleine, aber entscheidende Eingriffe vornehmen kann.
Die Muskeln mögen versagen. Aber das Gehirn bleibt wach.
Dieser Artikel ist Teil unserer Fallstudien-Serie über die WHIP-Flaggschiff-Installation. Weitere Artikel: SELV-DALI: Licht ohne Netz, DC-Netzwerk: Das Kontrollparadoxon
Technische Eckdaten:
- Batteriespeicher: 48 V nominal (LiFePO4)
- Server-Cluster: 3× Intel NUC, Proxmox HA, ~20 V via Victron Orion
- WHIP Hubs: 12 V DC (direkt von V_bat)
- WHIP Nodes: 3.3/5V (direkt von V_bat oder 24V)
- DC-Aktoren: Stellventile 24 V, Absperrventile 12/24 V
- Galvanische Trennung: Zweistufig (Wechselrichter + Orion)